Krankenhausgrün

Jetzt werde ich wirklich krank, hat sich Mama auch noch einen Krankenpfleger zugelegt.

Das hält man ja nicht aus. Zwei Krankenpfleger, zwei Kandidaten für die Ersatzvaterstelle. Wie lange das schon geht, frage ich sie. Also: Im Herbst, sagt Mama, als ich auf der Messe gewesen bin, hat sie ein paar Tage Urlaub gemacht, und da hat sich etwas entwickelt, aber sie hätte erst abwarten wollen, wie ernst das wäre, bevor sie mich damit konfrontieren wollte usw.. Und jetzt wäre es eben so weit, ob ich was dagegen hätte. Nein, natürlich nicht, sage ich, denke mir doch in meinem finstersten Winkel, dass mich nie irgendwer fragt und dass mich die Sache schließlich auch betrifft.

Das führt zu: #Krankenhausgrün. Lässt ja jede Haut bleich aussehen, nicht zum Aushalten. So als ob man schon einmal im Voraus das Leichenstadium ausprobieren sollte. Warum es dieser spezielle Ton sein muss, frage ich Mama: ob es da weniger auffällt, wenn man grün im Gesicht wird. Sie sagt, ich soll mit diesen blöden Scherzen aufhören. Hat was mit Absorption des Deckenlichts zu tun, glaubt sie, und außerdem muss die OP-Wäsche getrennt gewaschen werden. Ja, aber dann könnte man doch trotzdem einen fröhlicheren Farbton nehmen: Orange. Himmelblau. Sommerwiesenknatschgrün.

Da lobe ich mir die Paläobiologie, da braucht man keine Arbeitskittel und die untersuchten Lebewesen sind definitiv schon tot. Mein Museumsvater hat mich übrigens auch nicht gefragt, das muss ich zugeben. nG

Liebe, Lyrik und Verdauung

Schon wieder die Liebe, als ob die eine Rechtfertigung für alles wäre. Für das Singen zum Beispiel. Rennt Mama in der Gegend herum und singt den ganzen Tag, obwohl sie das wirklich besser bleiben lassen sollte, und ich frage sie, ob sie das in der Klinik auch tut. Klar, sagt sie. Und was sie singt, frage nicht. Ich meine, sie sollte es doch mittlerweile wirklich besser wissen. Nicht das mit dem Singen, den Rest.

Nein, da kümmern wir uns lieber um Wichtigeres: Skiurlaub und den schädlichen Einfluss von Skihüttenschlagern auf die Verdauung. Nicht dass das Essen nicht schon schlimm genug wäre, spielen sie dann auch noch die schrecklichsten Compilations in Endlosschleife, dagegen ist selbst Mamas Gesang harmlos. Wobei man sie ja auf der Piste nicht hört, nur hängt sie die ganze Zeit am Smartphone herum und verschickt Liebeslyrik, zumindest ist das zu befürchten, denn das Strahlen, dass sie im Gesicht hat, spricht stark für die verblödende Wirkung. nG

Permanent performativ

Mode ist ein einziges Ändern der Meinung, das sage ich mal einfach so, und für Meinungen gilt ja: Was interessiert mich mein dummes Geschwätz von gestern? Von wem war das noch?

Man muss halt einen eigenen Stil entwickeln, und der muss in sich stimmen, das muss der Anspruch sein. Was fehlt ist also der Leitfaden für konsistente Outfits, und genau den kann ich anbieten: Vergleichen wir also

(a) Hosenbeinlängen und

(b) Taillenhöhen,

(c) Tapetenmuster in

(d) verfeindeten Farben: orange-pink, grün-lila, türkis-gelbbraun:

Das bleibt am Schluss nebeneinander stehen, wenn jede Auswahl in sich logisch ist. Ich habe vor, mir treu zu bleiben, sonst wäre das ja eine komplette Niederlage.

Josef übertrifft sich wieder einmal selbst: das Vogelthema! Kuckuck, sagt er, ich weiß nicht, ob er das komisch findet, aber bei einem Genie ist alles erlaubt, und ich weiß, was das für ein Privileg ist, dabei zuzusehen: Er steckt Biancas Füße höchstpersönlich in diese völlig abgedrehten Flügelschuhe. Jenseits, überirdisch.

Das Sichtreubleiben bei ständiger Veränderung ist die Herausforderung. Permanente Neuerfindung des eigenen Outdoor-Avatars, das ist der Punkt: permanent performativ. Und das ist immer neu. nG

Sonnenstürze

Die Schulpsychologin hat mich genervt, Sätze habe ich vervollständigen sollen:

Ich wünsche mir … Spaghettieis. Was Abartigeres gibt es nicht.

Ich stelle mir oft vor … die Erde würde in die Sonne stürzen. Was sie eines Tages ja definitiv tun wird.

Was mich ärgert … na was wohl: das hier.

Manchmal … würde ich gerne länger schlafen. (Was ich nicht dazu geschrieben habe: Vor allem bei Papa, die stehen oft so früh auf und veranstalten einen Riesenwirbel beim Frühstück, weil: ausgiebig und gesund und sich Zeit nehmen und zelebrieren.)

Ich fühle mich oft … grundlos glücklich. (Zum Ausgleich.)

Andere in meinem Alter … gehen am Wochenende in Shopping-Center. (Da gibt es Leute, die machen nichts anderes. Andere dagegen sehen anderen beim Shooter-Spielen zu, doch, gibt’s auch. Ich bin mehr für Selberspielen.)

Wenn ich etwas gar nicht kann … da bin ich sprachlos. Ich kann alles, hab ich gedacht.

In der Schule … da bin ich jetzt besonders sprachlos.

Sport … Wort. Ort. Fort. Shortly.

Ich denke manchmal … nichts. Wirklich absolut gar nichts.

Ich leide … unter Schmerzen. (Also, falls ich welche habe.)

Dann sagt die Psychologin, ich soll die Tage auf einer Skala zwischen 0 und 10 bewerten, wie ein Erdbeben, wie kindisch. Ich natürlich nachgelesen, von 7,5 abwärts gilt man als depressiv. Bin doch nicht blöd und lass mir sowas diagnostizieren. Geb mir also 8 Punkte, eigentlich 9, sage ich zu ihr, aber ein Punkt Abzug wegen der Französischstunde. Diese Französin überschätzt ihr Fach hoffnungslos, aber das tun sie alle. Sollte ich hier nicht rumposaunen, nG

backspace

Eine Frage, die sich schon länger stellt: Kann man Fehler korrigieren? Oder kann es sein, dass eine einzige falsche Entscheidung, ein Ausrutscher, eine dumme Aktion den Karren gegen die Wand fährt? Ein für alle Mal? Wie eine ungewollte Schwangerschaft, die man erst bemerkt, wenn es fürs Rückgängigmachen (backspace) zu spät ist? Angenommen, du hast jemandem etwas weggenommen, dem du es beim besten Willen nicht mehr zurückgeben kannst, weil er oder sie zum Beispiel in der Zwischenzeit gestorben ist: Lässt sich das dann irgendwie wieder reparieren? nG

Erwachsen

Kleine private Umfrage: Wer will eigentlich erwachsen werden? Wozu soll das gut sein? Früher oder später muss man sich festlegen lassen auf eine bestimmte Rolle, was weiß ich, Anästhesistin, Astronautin, Modedesigner, und Rollenfachwechsel sind schwierig. Jetzt hingegen noch: alles machbar. Gut, ich werde mir natürlich so lange wie möglich alle Optionen offenhalten. Überhaupt die der Astronautin. Auch wenn ich mir das ein wenig einsam vorstelle, so als Arbeitsplatz, und dann immer die Zwangsgemeinschaft mit den anderen Besatzungsmitgliedern, dieser Container, aus dem man nicht und nicht rausgewählt wird. Aber die Aussicht!

http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Qualle_Ohrenqualle_2006-01-01_215.jpg

Die Kapsel ein Kopffüßer im All, aus dem heraus du auf die Erde siehst, ein Gefühl kriegst für den Abstand zwischen ihr und dem Mond. Der ist nämlich schon gewaltig. Ein wetterfreier Raum. Das Entsorgen der menschlichen Abfälle: Zahnpastareste, Nagelschnipsel, Ausscheidungen aller Art. Sicher eine spannende Frage, eine typische Erwachsenenfrage, und wer braucht die? Schöner ist doch die Vorstellung, zwischen Mond und Erde zu schweben, in gleichem Abstand vielleicht, und die Meere als Ganzes zu sehen. Die höchsten Berge zu suchen. Die Teilung der Erdoberfläche in Licht- und Schattenseite zu sehen, das Wandern des Saums: zu verstehen, was Nacht eigentlich ist. Ich glaube, das ist die Hauptaufgabe: die Nacht zu begreifen.

Leider bleibt einem dann am Ende nichts anderes übrig, als erwachsen zu werden. Nichts peinlicher als Erwachsene, die so tun, als verstehen sie noch was von uns. So Lehrer, die reinschleimen zum Beispiel. Da sind mir doch die lieber, die klar sagen, dass sie das nicht interessiert, was wir so treiben. Die sich auf Skiwochen nicht in die Disco drängen und statt dessen schön an ihrem Stammtisch sitzenbleiben und Karten spielen oder was auch immer. nG

Fishy

Toni, ich nenne den Kollegen mit der freitäglichen Geldtasche einmal so, zieht an meinem Shirt und sagt, ich wäre nicht Fisch nicht Fleisch, weil ich keinen BH trage. Fischig, sagt er, und fragt, ob ich den Witz von der Frau und dem Meer kenne. Jaja, Unterlid heruntergezogen. Er lässt sich nicht bremsen: Geht eine Frau ins Meer, und Gott sagt, Scheiße, jetzt kriege ich den Ge-: Mein Tritt ins Schienbein bringt ihn doch zum Schweigen, abgestoppt und rückgepasst, ich sollte Fußballerin werden.

Eine Manga-Perücke habe ich mir bestellt. Lieber mit ernsthaft verkleideten ausgewachsenen Vertretern dieser Spezies Festivals besuchen als mit so wabbeligen Lebensformen wie halbgaren Nichtmännern in der Straßenbahn fahren. Beim Straßenbahnfahren kann man es sich nicht aussuchen, mit wem man von Station zu Station tingelt, da ist die U-Bahn besser: geht schneller, es sind mehr Leute drin, und überhaupt kann man auf die nächste warten. Man fühlt sich einsamer, obwohl der Menschengeruch festhängt. Noch schlimmer als die Ungewaschenen sind nur noch diejenigen, die irgendwas nach aufgewärmtem Fleisch Riechendes aus dem Fettpapier essen. Auf dem steht dann beispielsweise:

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Eine ganz eigene Community, die Cosplay-Leute, Spiel in Kostümen. Was könnte mir besser gefallen? nG

Rauchende Raupen

Hier und jetzt plädiere ich für unkorrekte Rauchbilder. Rauchringe, Raucherinnen im Hosenanzug, die die Finger elegant abspreizen, so, wie man das nur mit Zigarette dazwischen machen kann, ohne sieht das ja dumm aus. Aber im öffentlichen Raum (Kunst am Bau): kein Bild mit der Stilsicherheit von Marlene Dietrich weit und breit, und die ist immerhin 90 geworden. Die wusste, wie man das eigene Bild kontrolliert. Und das Ausatmen, auch eine Kunst, von der man nichts zu sehen kriegt. Da spricht man in Rätseln, egal was man sagt, und die Atemspuren (Rauchfahnen) verschwinden auch so im …

Da gab’s doch auch die Shisha rauchende Raupe in Königsblau: irgendwie alt, zumindest alt für eine Raupe. Alt und arrogant und rätselhaft, was ja gerne mit Altersweisheit verwechselt wird. Verstehe ich sowieso nicht, warum jemand weise werden soll, nur weil er oder sie älter geworden ist. Als ob die Summe aus angeborener und erworbener Dummheit durchs Abhängen in Klugheit umschlagen könnte. Abhängen kann man aber super hinter Wasserpfeifen, das in jedem Fall. nG

Design oder Nichtsein?

Welt-NICHTS-Tag: Design oder Nichtsein?

Mehr ist da nicht. Was bleibt übrig: Eine Nussschale, die durch die Weltmeere gondelt, ohne dass man weiß, ob die Ölvorräte reichen. Nussöl ist ja die reinste Hirnnahrung, sagte Mama, und die muss es wissen.

Gondel

Nein: Dem Nichts einen ganzen Tag zu widmen, das hat was, dem will ich mich anschließen und

NICHTS anziehen

NICHTS essen

NICHT einmal was riechen

NICHTS denken und vor allem

BLANK

Baiserabschluss

Jetzt einmal: das Hochzeitsensemble, der große Baiserabschluss jeder Show.

Es ist ja überall dasselbe. Bloß weil es zwei Männer sind, ist die Stimmung auch nicht besser. Papa hat Manuel vorgeworfen, keine Ahnung zu haben, wie es ist, wenn der Job an einem seidenen Faden hängt. Und Manuel hat ihn einen intellektuellen Spießer genannt, tja, so war das, neulich bei Patchworks. Und dann Versöhnung mit allem Drum und Dran und feierlichem Abendessen. (Mama ist auf Skiurlaub.) Anstoßen darauf, dass Manuels Arbeit so krisensicher ist, weil krank werden die Leute immer. Je länger das geht mit der Wirtschaftskrise, desto mehr werden die Leute krank. Papa hat glucksend gelacht, aber traurig ausgesehen. Er weiß nicht, ob er die Stelle behalten kann. Manuel hat gesagt, Papa könnte ja Hausmann werden, und Papa hat gesagt, er denkt nicht dran, selbst wenn sie heiraten sollten. Heiraten? Das hat mich aber doch umgehauen. Ich meine: Ich habe kein Problem damit, dass Papa einen Mann liebt. Sollen die anderen nur spotten, es waren eh nur zwei, drei aus der Parallelklasse, die üblichen Jahrgangsverdächtigen, und die habe ich schon zum Schweigen gebracht.

Aber eine Hochzeit ist doch irgendwie erst recht spießig. Ich habe sie gefragt, ob dann der eine im schwarzen und der andere im weißen Anzug heiraten würde, und sie: nein, beide gleich, und Papa hat gesagt, in Blumenmuster, und Manuel, in Regenbogenfarben, dann haben sie gemeint, sie würden sich sehr freuen, wenn ich das Styling übernehme. Das mache ich natürlich gerne, obwohl ich nicht verstehe, warum man heiraten muss. Hat das Heiraten meinen Eltern vielleicht irgendwas gebracht außer einer unnötigen Scheidung? nG